Der Verlust eines geliebten Menschen löst tiefe Trauer aus, die sich individuell unterschiedlich äußert. Neben Schmerz und Verlustgefühl können auch unerwartet intensive Lebenslust und sexuelle Bedürfnisse auftreten. Theologieprofessor Traugott Roser (RND/dpa) erklärt, dass dies eine normale menschliche Reaktion und kein Tabu-Thema sein sollte. Sexualität, so Roser, umfasst weit mehr als Geschlechtsverkehr, sondern beinhaltet auch Zärtlichkeit, Berührungen und Sinnlichkeit. Der Tod eines Partners reißt diese vertraute körperliche Kommunikation abrupt ab, während die sexuellen Bedürfnisse bestehen bleiben. Diese unerfüllten Bedürfnisse verursachen zusätzlichen Schmerz und können sich, laut Roser, wie der Verlust einer Sprache anfühlen.
Die Scham, über diese Gefühle zu sprechen, ist oft groß. Trauernde hinterfragen sich selbst, warum sie trotz des Verlustes sexuelle Bedürfnisse empfinden. Roser erläutert, dass Trauer den gesamten Organismus, inklusive des Hormonhaushaltes, beeinflusst und dadurch unerwartete sexuelle Bedürfnisse auslösen kann.
Es ist entscheidend, Trauernden zu vermitteln, dass diese Empfindungen normal sind. Angehörige und Freunde sollten ein offenes Gespräch anbieten, ohne zu werten oder zu kritisieren. Trauernde brauchen Ermutigung, über ihre Gefühle und Ängste zu sprechen.
Der Dokumentarfilm "Baldiga - Entsichertes Herz" von Markus Stein (rbb|24) zeigt, wie der Fotograf Jürgen Baldiga seine HIV-Diagnose, seine Sexualität und den nahenden Tod künstlerisch verarbeitete. Stein berichtet, dass Baldiga durch die Diagnose gezwungen war, sich intensiv mit Leben und Tod auseinanderzusetzen. Die Erkenntnis, dass seine Sexualität tödlich sein kann, aber auch lebensnotwendig ist, bildete den Kern von Baldigas Kunst. Die HIV-Diagnose mit 24 Jahren, zu einer Zeit, als diese ein Todesurteil bedeutete, konfrontierte Baldiga radikal mit dem Leben. Der Film beleuchtet Baldigas Leben im West-Berlin der 80er und 90er Jahre und seine Dokumentation der pulsierenden Schwulenszene.
Auch die Geschichte eines jungen Mannes auf gutefrage.net, der mit seiner unterdrückten Homosexualität kämpft, verdeutlicht den enormen Druck, den die Verheimlichung der sexuellen Identität erzeugt. Aus Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung und der Enttäuschung seiner Eltern unterdrückt er seine Gefühle. Seine Geschichte unterstreicht die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Umfelds, in dem Menschen ihre Sexualität offen und ohne Angst vor Diskriminierung oder Gewalt leben können.
Quellen:
- RND/dpa: "Sex in Trauer-Zeiten: Warum es okay und kein Zeichen mangelnder Liebe ist"
- rbb|24: "Interview | Filmregisseur Markus Stein über Baldiga: 'Es ist ihm einfach klar geworden, dass seine Sexualität Tod bedeuten kann'"
- gutefrage.net: "Homosexualität bis zum Tod unterdrücken?"
- https://www.klj-paderborn.de/pages/katechesen/katechesen2022/katechese_64.htm
- https://www.sexundmind.ch/blog/leben-lieben-der-tod-und-die-lust